Wieder zurück in Shanghai, wurden meine Nerven in der letzten Nacht im Lande noch einmal etwas strapaziert. – Und ich kann jetzt schon so viel verraten: die Option Gemeinschaftsbad werde ich so schnell nicht wieder wählen.
Während der erste Aufenthalt im >>Mingtown E-Tour Youth Hostel<< noch ausgesprochen ruhig verlief, war dieses Mal leider das absolute Gegenteil der Fall. Wer auch immer sich nun neben uns einquartiert hatte, fühlte sich scheinbar ganz zu Hause und hatte keinerlei Schmerz, selbiges zu fortgeschrittener Stunde lautstark und recht ausgiebig zu verkünden. Trotz Ohrenstöpsel war dem Lärm kaum Herr zu werden, geschweige denn, dass ich mich zur eigenen Tür hinaus getraut habe. Allerdings musste ich mitten in der Nacht irgendwann doch noch auf die Toilette und durfte dann bei dieser Gelegenheit das ganze unappetitliche Ausmaß in Augenschein nehmen; der komplette Waschbereich war unter Wasser gesetzt und das Klo weniger ansehntlich mit Papier dekoriert und bis obenhin verstopft. Mann, hab ich mich geekelt und bin natürlich gleich – nur mit einem Badetuch bekleidet – zum Nachtportier gerannt. Ich weiß nicht, was dieser gedacht hat, als ich ihn leicht bekleidet nachts halb Drei zur Toilette geschliffen hab, aber das war mir in dem Moment völlig egal. Unter diesen Umständen konnte ich auf Verhaltensregeln – wie “das Gesicht wahren” – wirklich nur noch schei… Zum Glück verlief jedoch der nun folgende Tag besser als diese Nacht, und so war die Aufregung fast auch schon wieder vergessen.
19.09.2019 – Shanghai – Pudong, Jing’an & Jadebuddha-Tempel
Shanghai World Financial Center
Nachdem wir endlich einen Geldautomaten ausgemacht hatten, ging es noch einmal hinüber auf die andere Seite des Huangpus zum Bankenviertel Pudong. Unser Ziel sollte vorerst das 492 Meter hohe Shanghai World Financial Center (SWFC) sein bzw. im Speziellen das Restaurant des >>Park Hyatt Hotels<< im 91. Stock, in welchem wir nun eigentlich frühstücken und dabei den Blick über Pudong, auf den Bund und Shanghai im Allgemeinen genießen wollten. Dafür hatten wir uns dieses Mal ein wenig eleganter gekleidet, um uns nicht wie in der Bar Rouge genieren zu müssen.
Zielstrebig sind wir in das riesige Gebäude gerannt, damit es den Anschein erwecke, als wüssten wir wohin, und weniger heldenhaft ging es wieder raus. Als wir schließlich doch noch den richtigen Eingang gefunden hatten, stiegen wir in einen noblen Aufzug und haben schnell ganz aufgeregt das Knöpfchen mit der Nummer 91 gedrückt. Oben angekommen, standen wir – wie sollte es auch anders sein – in einem piekfeinen, komplett in Weiß gehaltenen Saal. Natürlich ließen wir uns die Verblüffung nicht anmerken und sind gleich zu einem schönen Platz direkt am Fenster geeilt. Als uns eine Bedienung allerdings davon in Kenntnis setzte, dass es hier oben nur ein Buffet gäbe und wir die Preise hierfür gesehen haben, sind wir schleunigst wieder zur Tür hinaus. – Etage 87 ist ja auch nicht so schlecht, dachten wir, und da kosten 2 Kaffee und ein Magentratzerl immerhin NUR 40 EUR. Das war nur unwesentlich teurer als der Eintritt zur Aussichtsplattform, und so hatten wir wenigstens schon mal was im Magen.
Auch wenn so langsam einige Wolken aufzogen, die Aussicht von hier oben war einfach gigantisch. Genau vor uns bauten sich der spacige Oriental Pearl TV Tower und die im Sonnenlicht funkelnde Art-déco-Pagode des 421 Meter hohen Jinmao Towers auf. Auf letzterem traten just in diesem Moment ein paar Gestalten ins Freie, und so konnten wir einem ziemlich verrückten Skywalk virtuell beiwohnen, bei dem Abenteuerlustige in luftiger Höhe – immerhin am Seil gesichert – auf einem 60 Meter langen, gläsernen, geländerlosen Steg am Turm entlangspazieren können. – Wow! Hätte ich das doch mal früher gewusst; die 52,- EUR wären es mir vielleicht sogar wert gewesen, auch wenn ich mich vermutlich dem Nervenkitzel hätte allein aussetzen dürfen.
Die kolonialen Prachtbauten des Bunds, am gegenüberliegenden Ufer, wirkten vor all den sich dahinter emporstrebenden Wolkenkratzern von hier oben aus wie Miniaturgebäude. Egal in welche Himmelsrichtung wir unsere Blicke wendeten, ragten Skyscraper über Skyscraper bis in den Horizont hinein und ließen kein Ende der 25 Millionen Einwohner Stadt erkennen.
Bevor wir das Restaurant nun schließlich wieder verlassen haben, durfte ich mich aber erst noch einmal wie ein rückschrittlicher Tourist fühlen, der einerseits sichtlich irritiert ist, direkt bis zur Toilette begleitet zu werden und noch mehr, als es darum ging, in dem Hightech-Klo unter gefühlten 100 Knöpfen den richtigen für die Spülung zu finden. Ehrlich gesagt, ist es mir nicht gelungen. Flo jedoch – nach meiner Berichterstattung gleich völlig begeistert – hat sich daraufhin das komplette Po-Verwöhnprogramm gegeben. Der Rest soll allerdings der Fantasie des Lesers überlassen bleiben… 🙂
Spaziergang durch Pudong
Wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt, waren nun wir die Zwerge unter all den Riesen. Noch einmal spazierten wir am Shanghai Tower alias dem “Korkenzieher”, dem “Flaschenöffner” (SWFC), der “Art-déco-Pagode” (Jinmao Tower) und natürlich dem unverkennbaren Oriental Pearl Tower vorbei – auf die ich allesamt schon in meinem ersten Bericht etwas näher eingegangen bin und ihr gerne >>hier<< noch einmal nachlesen könnt. Doch auch all die anderen grün-, blau- oder goldschimmernden Gebäude, die sich gegenseitig in Sachen außergewöhnliche Architektur den Rang abzulaufen schienen, waren nicht minder beeindruckend. Gut und gerne hätten sie die Kulisse in “Krieg der Welten” stellen können.
Zu dieser Tageszeit war es uns jetzt sogar vergönnt, endlich auch einmal den Bund im Sonnenlicht zu bewundern, aus welchem einerseits die klassizistischen Gebäude der Pudong Development Bank (mit seiner massiven Kuppel) und das Big Ben ähnliche Zollhaus und zum anderen die im Sowjetschick gehaltene Bank of China besonders herausstachen. – Und natürlich konnten wir sogar die ehemalige Charter Bank mit der im 4. Stock befindlichen >>Bar Rouge<< ausmachen, in der wir noch vor 3 Tagen nachts gesessen sind und die Aussicht auf die bunt beleuchtete Skyline Pudongs gefeiert haben.
Jing’an Si – Tempel der Ruhe & des Friedens
Jetzt wurde es aber Zeit, auch mal wieder etwas Neues zu erkunden. Dafür ging es mit der Metro ans westliche Ende der Nanjing West Road zu einem der bedeutendsten buddhistischen Tempel von Shanghai – den Jing’an Si -, der inmitten hoher Wolkenkratzer eingebettet ist und mit all den gläsernen Fassaden im Hintergrund ein ziemlich skurriles Bild abgibt. Doch irgendwie macht es gerade auch deshalb wieder diesen Ort zu etwas Besonderem, indem Alt und Neu eine recht ungewöhnliche Symbiose miteinander eingehen und einem zeigen, dass die Moderne nicht unbedingt immer Altbewährtes verdrängen muss – und wie man sich im dichtbesiedelsten Viertel Shanghais arrangiert.
Schon im Jahre 247 n. Chr. (Wu-Dynastie) wurde dieser Tempel am Suzhou He errichtet. Da diese Region jedoch immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht wurde, demontierte man zu Zeiten der Song die Tempelbauten an jener Stelle und baute sie 1216 originalgetreu in der Nanjing Road wieder auf. Während der Kulturrevolution ereilte dem Jing’an Si dasselbe Los wie den meisten anderen sakralen Stätten, und so wurden die Mönche vertrieben und das Heiligtum den Gläubigen verschlossen. Stattdessen diente der Komplex fortan den Kommunisten als Kunststofffabrik.
1972 brannte der Tempel komplett ab und wurde ab 1983 wieder step by step aufgebaut. Seit 1990 nutzt ein buddhistischer Konvent nun die Räumlichkeiten, und ein Großteil ist jetzt auch wieder für die Öffentlichkeit zugänglich.
Nachdem wir es irgendwie geschafft haben, auf der Suche nach dem Eingang nahezu eine ganze Runde um den Komplex zu rennen, traten wir schließlich auf einen großen Hof, der ringsum von modernen Holz-Stein-Gebäuden mit goldenen Dächern gesäumt war. Was uns allerdings sofort ins Auge stach, war ein überdimensionaler, mehrstöckiger Verbrennungsofen, um den sich mehrere Gläubige versammelt haben und nun versuchten, diverse Münzen in die hochgelegenen Öffnungen einzuschmeißen; was natürlich Glück bringen soll. – Da Werfen nicht unbedingt zu meiner Lieblingssportart zählt, habe ich mich davon ausgenommen; aber vom Pech verfolgt wurde ich heute trotzdem nicht mehr.
Ganz angetan von all dem Glanz, wollten wir uns zunächst einen Rundgang von oben genehmigen, um noch besser auf die goldenen Dächer mit ihren prunkvollen Verzierungen – in Form von Pagoden, Löwen, Drachen und anderen Getieren – schauen zu können oder wenn möglich auch mal ein Blick zum Hintertürchen hinein in die Mönchsquartiere zu riskieren.
Der Tempelkomplex umfasst 3 große Hallen, von denen die Mahavira-Halle – im Herzen der Anlage – die bedeutendste ist. Diese birgt auch in ihrem Inneren Chinas größte sitzende Shakyamuni-Buddhastatue aus reiner Jade, die sagenhafte 3,8 Meter misst und 11 Tonnen auf die Waage bringt. In einer weiteren Halle kann man dann auch noch ein 8 Meter hohes Buddha-Bildnis aus Silber und ferner eine große Bronzeglocke aus der Ming-Zeit bewundern.
Persönlich beeindruckt haben mich allerdings die detailliert ausgearbeiteten, dreidimensionalen Wandfresken mit den plastisch wirkenden Porzellanfiguren auf der Rückseite der Mahavira-Halle.
Yufo Si – Jadebuddha-Tempel
Da wir immer noch genügend Zeit bis zu unserem Abflug hatten, wollten wir uns nun auch noch den Yufo Si im nordwestlichen Teil anschauen. Dieser ist wohl der berühmteste spirituelle Tempel Shanghais und zählt zu den wenigen noch aktiven Klöstern der Stadt. Die hier lebenden Mönche betiteln ihr Heiligtum als “ein ruhiges Stück Land inmitten der Hektik…”. Das haben wir uns gleich zu Herzen genommen und erst einmal eine kleine Rast in einem der von zahlreichen mit roten Laternen verhangenen Seitengänge eingelegt, währenddessen all die Besucher nur so an uns vorbeigesprudelt sind.
Im Jahre 1882 brachte der Mönch Hui Gen von seiner Pilgerreise aus Myanmar 5 Jadestatuen mit, von denen er 2 in Shanghai ließ – einen 1,90 m hohen, sitzenden, mit Juwelen verzierten und einen 96 cm langen, liegenden, ins Nirwana eingehenden Shakyamuni-Buddha, welche jeweils nur aus einem einzigen Stück weißer Jade geschnitzt wurden.
Aus Spenden ließ Hui Gen schließlich einen Tempel für diese 2 kostbaren Statuen errichten.
1911 wurde dieser Ort während der Xinhai Revolution komplett zerstört, doch wie durch ein Wunder blieben die beiden Shakyamuni-Bildnisse völlig unversehrt und fanden alsbald wieder auf dem gleichen Terrain, in den zwischen 1918-28 rekonstruierten Hallen, ihren Platz. Heute ist der Yufo Si ein Chan-buddhistisches Kloster und beherbergt aktuell 70 Mönche, die ausschließlich von Spendengeldern und den Einkünften durch die Touristen leben.
Im Gegensatz zum Jing’an Si besteht auch dieser Tempel – wie in China üblich – aus 3 hintereinanderliegenden Haupthallen, die durch 2 Innenhöfen verbunden und auf einer Nord-Süd-Achse angeordnet sind. In der ersten Halle der Himmlischen Könige (Devajara Halle) wurden wir zunächst von 4 Statuen begrüßt, die jeweils für eine Himmelsrichtung stehen und zudem einem lachenden Dickbauch-Buddha.
Danach schloss sich die Schatzhalle des Großen Helden (Mahavira Halle) mit 3 weiteren großen goldenen Buddhastatuen an – der Buddha der allumfassenden Liebe, der Medizin-Buddha und ein historischer Shakyamuni.
Doch alles schön und gut, jetzt wollten wir natürlich auch noch die beiden Jadebuddhas sehen, die wir allerdings beim besten Willen nicht finden konnten, denn ein Obergeschoss – wie im Reiseführer vermerkt – gab es nirgends. Ich war schon sichtlich genervt, wohingegen Flo versucht hat, den Haussegen wieder halbwegs geradezubiegen. In einem Nebengebäude lag er nun doch noch; zumindest der Kleinere der beiden Kostbarkeiten. Doch fälschlicherweise war auch ich der Annahme, dass die große Statue in der Mitte des Raumes die Attraktion ist – mit 95 Zentimetern kenne ich mich nun mal nicht aus… Richtig ist jedoch, dass es sich hierbei um eine aus Singapur importierte Marmor-Statue handelt; der eigentliche Jadebuddha liegt leicht übersehbar gleich links nebenan.
Nach etwas längerem Hin und Her haben wir schließlich auch noch den zweiten Schatz gefunden. Für den deutschen Touristen nun mal schwer erkennbar, wurde dieser kurzerhand in einen hinteren Teil der Anlage verlegt, von dem wir gar nicht mehr gedacht hätten, dass dieser schmuddelige Bereich überhaupt noch zum Tempel gehört. Leider war hier das Fotografieren strengstens untersagt, so dass sich die Aufregung fast nicht gelohnt hat; doch immerhin hatten wir ihn nun überhaupt gesehen – den 1,90 Meter großen Jadebuddha, der diesem Komplex schließlich zu seinem Namen verhalf.
Yu Basar bei Nacht
Hatten wir den berühmten Basar bisher nur bei Tag gesehen, ließ es unser Zeitfenster durchaus zu, ihn nun noch einmal mit Einbruch der Dunkelheit zu besuchen. Zu dieser Stunde ging es schon wesentlich betriebsamer zu als noch am frühen Vormittag. Hunderte von Menschen schoben sich unter unzähligen roten Laternen durch die engen Gassen des Viertels, dessen hübsche Gebäude inzwischen in einem Meer aus Lichterketten versanken. Doch keins dieser Häuser konnte auch nur annähernd dem Huxinting Teahouse mit seiner Neun-Biegungen-Brücke die Show stehlen, welches in den schillerndsten Farben illuminiert wurde. Eine geraume Weile blieben wir einfach nur stehen und schauten dem originellen Farbspiel zu, welches sich noch einmal im Wasser wiederholte und lauschten dazu den Klängen der eingespielten Musik. Der Gondoliere, der zwischen all den beleuchteten Springbrunnen und künstlichen Lotusblüten nun auch noch aus dem See wabernden Nebel auftauchte, war schon fast zu viel des Guten. Vielleicht mag das ja für Einige kitschig wirken, aber die Asiaten lieben es nun mal so, und wir hielten es auch für einen sehr gelungenen Abschluss unseres Chinaaufenthalts.
Die letzten Stunden – in Shanghai, in China, unseres Abenteuers
Auf dem Weg zu unserem Hostel sind wir noch ein allerletztes Mal an der Uferpromenade des Bunds entlangspaziert, um auch von hier aus Shanghais Atmosphäre aufzusaugen und vor allem, das Farbenmeer von Pudongs Skyline auf uns wirken zu lassen. Heute war es schon dementsprechend spät, so dass bereits alle Gebäude ihre Aufführungen gestartet hatten und wild umherblinkten; selbst der Oriental Pearl Tower konnte nun einmal zeigen, was er denn so drauf hat. – Auch wenn ich für gewöhnlich nicht unbedingt ein Freund großer Städte und von viel Bling-Bling bin, blendet man das jedoch ganz schnell aus, wenn man selbst einmal so mittendrin steht und all die bunten Lichter an den gigantischen Hochhäusern, ja sogar an den Schiffen auf dem Hangpu flackern sieht, während einem der laue Wind um die Ohren säuselt und man die freudige Erregung der Menschen um sich herum spürt, die einen mitreißen und den Zauber auf einen übertragen. In so einem Moment empfindet man selbst die viertgrößte Stadt der Welt als einen magischen, ja fast schon idyllischen Ort.
Jetzt wurde es aber wirklich höchste Zeit, unsere Rucksäcke abzuholen und uns endlich auf den Weg zum Flughafen zu machen. Allerdings wollte ich es mir nicht nehmen lassen, wenigstens noch einmal kurz an der Metrostation Lujiazui ins Freie zu springen, um letztmalig den Boden Pudongs zu betreten und die Lightshows des SWFC, des Shanghai, Jinmao und Oriental Pearl Towers aus nächster Nähe zu erleben. Doch dann drängelte auch schon Flo, und damit ging eine wunderschöne, ereignisreiche und informative Zeit in China zu Ende.