Chinas einstiges Bankenzentrum
Die Stadt Pingyao, welche ihren endgültigen Namen schon während der Nördlichen Wei-Dynastie erhielt, wurde im Jahre 1370 unter dem Ming-Kaiser Hongwu erweitert und auf einem quadratischen Grundriss aufgebaut. Zum Schutz vor Feinden errichtete man eine 6,4 m lange und 12 m hohe Mauer, die auch heute noch nahezu intakt ist und als am besten erhaltene Stadtmauer Chinas gilt.
In dieser Zeit wuchs Pingyao zu einer blühenden Handelsstadt heran, und viele der typischen Ming-Bauten entstanden.
Auch während der Qing-Dynastie gewann diese Stadt zunehmend an Bedeutung. Hier wurden nämlich von findigen Kaufleuten die ersten Banken des Landes eröffnet und nebst Papiergeld die ersten Wechsel eingeführt. Da diese allerdings von den Herrschern nach ihrer Abdankung nicht zurückgezahlt werden konnten, ging Pingyao schließlich Bankrott, und die Geldgeschäfte wurden nach Shanghai und Hongkong verlagert. – Aus heutiger Sicht kann man fast schon von Glück sprechen, denn so entging die inzwischen praktisch bedeutungslos gewordene Stadt der Erneuerung und der blinden Zerstörungswut der Kommunisten und konnte dadurch ihren ursprünglichen antiken Charakter bis jetzt erhalten.
Über 4000 historische Läden, Hofhäuser, Kaufmannsresidenzen und Tempel mit den Architekturschätzen aus der Ming- und Qing-Dynastie konnten somit bewahrt werden und zeugen vom einstigen Reichtum, als Pingyao noch ein bedeutendes Bankenzentrum des alten Chinas war. Doch hingegen zu anderen historischen Städten ist hier nichts Fake, nichts künstliche Kulisse – die meisten Gebäude sind sogar noch immer bewohnt. Ca. 30000 Einwohner leben derzeit in der Altstadt und sorgen somit für Authentizität. So kann es einem auch gelingen, die ein oder andere persönliche Momentaufnahme zu erhaschen.
1997 wurde Pingyao schießlich als erster Ort Chinas zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
11.09.2019 – Pingyao – Historische Altstadt
Ach, wie hatte ich mich doch auf Pingyao gefreut. Doch da wusste ich auch nicht, dass es nahezu die ganze Zeit regnen würde. 2 Tage hatte ich für diese wunderschöne, alte Stadt eingeplant; 2 Tage, in denen wir endlich einmal durchatmen und nun alles etwas ruhiger angehen lassen wollten.
Schon zu früher Stunde klopften die Wassertropfen gegen die Scheiben unseres Zugs, und das taten sie auch noch, als dieser zum Stehen kam. Mit Regenschirm und Rucksackcover bewaffnet, gingen wir die nassen Straßen der Altstadt entlang, auf der Suche nach unserem Hotel. Es war schön, durch die leeren Gassen zu schlendern; und noch hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Regen schon bald nachlassen würde.
Pingyao Ji Family Courtyard Inn – Unser Hotel
In der verschachtelten Stadt war es gar nicht so leicht, unser Hotel auszumachen. Wir hatten nun zwar schon die angegebene Adresse erreicht, jedoch konnte man nirgends ein Schild erkennen, welches auf unser >>Courtyard<< hinwies. So fragten wir schließlich an einem kleinen Lokal nach, das bereits zu dieser frühen Stunde geöffnet hatte. – Lustig, eigentlich standen wir ja schon direkt vor der Tür, doch dieses alte Hofhaus war so verwinkelt, dass man den Eingang in dem Häuserlabyrinth erst einmal finden musste.
Doch dann traten wir endlich durch ein großes, schweres Eingangstor in den 400 Jahre alten Innenhof und wussten gleich gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten. Überall die typischen Roten Laternen und die liebevollen Details an den grauen Ziegelbauten mit ihren geschwungen, mit Drachen verzierten Dächern. Wenn uns zu dieser Zeit nicht ständig der Regenschirm im Weg gewesen und das Wasser unaufhörliche in den Nacken gelaufen wäre, hätten wir diesen Augenblick sicher noch mehr genießen können.
So haben wir nun aber erst einmal versucht, auf uns aufmerksam zu machen, was leider etwas dauerte und scheinbar nicht so zur Freude des Gastgebers war. Mit einem leicht mürrischen Gesicht begrüßte uns ein älterer Herr, der (hingegen der Angaben bei booking.com) noch zudem kein Wort Englisch verstand. So richtig wussten wir jetzt zwar nicht, was er denn von uns wollte, aber zumindest konnten wir schon mal unser Zimmer beziehen. Hierfür folgten wir ihm durch die kleinen Tore und schmalen Gänge, zwischen den einzelnen Gebäuden, weiter hinein ins Innere des Anwesens und versuchten uns dabei einzuprägen, wie wir jemals wieder aus diesem Komplex herauskommen würden, ohne uns dabei nicht gänzlich in dem Geflecht der winzigen Gassen zu verstricken.
Unser Zimmer war wirklich genauso so schön, wie wir uns anhand der Fotos erhofft hatten. Vor dem großen verschnörkelten Fenster hing eine Rote Laterne, im Inneren stand davor eine mahagonifarbene Sitzgarnitur aus der Qing-Zeit. Doch den Großteil des kleinen Raumes nahm das Kang-Bett ein, auf dem ein kleiner, verzierter Holztisch stand; das Teeservice dazu gleich in Reichweite.
Das Kang wird hauptsächlich im kälteren Norden Chinas genutzt. Traditionell handelt es sich hierbei um ein gemauertes Ofenbett, welches von unten beheizt werden kann und konstant bei 40 Grad gehalten wird. Zum Schlafen legt man einfach eine dünne Matratze darauf, die tagsüber zusammen gerollt wird, damit man das Bett auch für alltägliche Dinge nutzen kann: um sich zu wärmen, zum Wäschetrocknen oder aber auch zum Essen; dafür stellt man einfach einen flachen Tisch obendrauf. – Dieser kam nun auch uns gerade Recht, und so haben wir uns erst einmal auf das leider unbeheizte Kang geschwungen und in Ruhe einen Tee zubereitet.
Historische Hofhäuser und Kaufmannsresidenzen der Altstadt
Da es aufgrund des starken Regens uns noch nicht wieder so recht nach draußen zog, entschieden wir uns zunächst dafür, erst einmal etwas zu frühstücken. Gleich vor unserer Haustür hatten wir ja bereits ein kleines Lokal entdeckt, und so kehrten wir nun gleich dort ein. Die Besitzerin schien sich darüber sehr zu freuen und bewirtete uns recht zügig.
Ich probierte es einfach mal mit den Oil Sticks, die optisch zwar einem Baguette ähneln mögen, es sich dabei aber um einen ziemlich fettigen, verhältnismäßig geschmacksneutralen Teig handelt, den man so kaum runter bekommt. Jetzt wusste ich auch, warum all die Chinesen, die ich bisher beobachtet hatte, diese Speise in Sojamilch ertränken. In meinem Fall musste dafür dann eben eine wässrige Kürbissuppe herhalten.
Flo hatte es mit einer Art Pancake versucht, der Dank der Lauchfüllung eigentlich ganz lecker war. So wurde eben brüderlich geteilt, um beim nächsten Mal 2 Portionen davon bestellt.
Noch immer ließ der Regen nicht nach, doch wenn wir heute etwas von Pingyao sehen wollten, dann mussten wir eben in den Sauren Apfel beißen und so langsam mal aufbrechen. An einem der Ticket-Schalter besorgten wir uns schnell die Eintrittskarten, die für 3 Tage gültig sind und den Besuch aller Sehenswürdigkeiten einschließen. Um durch die Gassen der Altstadt zu bummeln, benötigt man diese zwar nicht, doch wenn man all die historischen Gebäude, Tempel und auch die Stadtmauer betreten will, was man sich unter keinen Umständen entgehen lassen sollte, dann ist das Geld gut investiert.
Ein unumstrittener Vorteil des Tickets war heute natürlich auch noch, dass wir uns so wenigstens von Zeit zu Zeit ins Trockene flüchten konnten. Doch es glich einem einzigen Spießroutenlauf. Das ewige “Schirm auf, Schirm zu” war dabei nicht weniger nervig, als das Fotografieren mit klammen Fingern und die ganzen hässlichen Regenjacken auf dem Bild. Irgendwann hat mich alles so genervt, dass ich meinen eh schon kaputten Schirm einfach in die Tonne getreten und versucht habe, mich dem Wetter mutig entgegenzustellen. Eine Weile ging das auch ganz gut, und so will ich nun endlich wieder zu den schönen Eindrücken kommen.
Wirklich faszinierend, diese alten Kaufmannsresidenzen zu besichtigen. Ich kann im Nachhinein gar nicht mehr nachvollziehen, in welchem Hofhaus was im Einzelnen untergebracht war. Viel zu sehr hatten wir unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, mit selektivem Blick durch die kopfsteingepflasterten Gassen zu rennen und nach den Portalen mit den Metallabsperrungen Ausschau zu halten, an denen man die Tickets einscannen muss und einem dann im blechernen Ton entgegenschallt, ob der Eintritt gestattet oder verwehrt wird, weil wir möglicherweise schon einmal drin waren. Aber diese Gebäude glichen sich auch so dermaßen, dass wir irgendwann echt nicht mehr wussten, welche der 18 Residenzen wir schon besucht hatten und welche noch nicht.
Im Grunde genommen sind diese alle ganz ähnlich aufgebaut und entsprechen den Hofhäusern, in denen wir uns sowohl in Beijing als auch hier eingemietet hatten. Nach dem Eingangsbereich betritt man folglich einen großen Innenhof, der von allen Himmelsrichtungen durch die einzelnen Gebäude eingerahmt wird. Wenn man den Hof durchschritten hat, kommt man in einen zweiten, manchmal auch noch in einen dritten Innenhof. In dem Geflecht der vielen verwinkelten Gänge und Räume musste man echt ganz schön aufpassen, dass man sich nicht verläuft. Besonders schön war jedoch, über die Treppen die obere Etage der Häuser zu betreten, denn von dort konnte man hin und wieder auch mal einen Blick auf die Dächer der Altstadt werfen.
Die einzelnen Räume dienen inzwischen als Museum, in denen das Leben der einstigen Bänker und Kaufleute nachgestellt wird. Außerdem gibt es jede Menge antiker Möbel und Accessoires, herrliche Wandbilder und anderen Schätze aus der Ming- und Qing-Zeit zu bewundern. Gesondert erwähnen muss ich nun allerdings das Rishenchang Finanzmuseum.
Museum Rishengchang Bank
1823 wurde in diesem Hause die erste Wechselbank Chinas gegründet, die als Vorläufer des Chinesischen Bankwesens gilt und in 45 Städten Chinas Zweigstellen hatte; ja sogar in L.A. und in New York. Pingyao selbst zählte damals über 22 Banken, doch die Rishengchang Bank war mit Abstand die bedeutendste; und das 108 Jahre lang.
Zu Zeiten der Qing war die Münze als gängiges Zahlungsmittel anerkannt. Doch der Transport der Geldstücke von einem zum anderen Ort war aufgrund diverser geldgieriger Räuberbanden gefährlich und noch zudem unbequem. Durch die Einführungen von Schecks und dem System des Geldtransfers gehörten die Probleme von nun an der Vergangenheit an.
Begonnen hatte alles mit einem einfachen Farbenladen, betrieben von dem Geschäftsmanns Li Daquan, dessen hohen Gewinne es ihm schließlich erlaubten, den Geschäftszweig zu wechseln und somit in das Bankwesen einzusteigen.
Das heutige Museum umfasst ca. 100 Räume, doch am interessantesten fanden wir den Blick in die Katakomben. Über ein weit verzweigtes, unterirdisches Tunnelsystem war es den Banken so möglich, gefahrenlos und unbemerkt das Geld untereinander zu transferieren. Außerdem dienten die großen Keller auch als sichere Lager für dieses Vermögen.
Flo wollte es einmal am eigenen Leib erfahren, wie die Geschäfte zu jener Zeit wohl vonstattengegangen sein mussten und kaufte für ein paar Yuan einen Wechsel, der dann gegen Silber eingetauscht werden konnte – bzw. in unserem Fall eine schiffchenförmige Goldbarren-Attrappe.
Entlang der historischen Altstadt-Gassen
Ob Schuhe trocken föhnen, Auszeit beim heißen Milchkaffee in einem versteckten Laden oder unnötige Kalorienzufuhr, der Kälte und der alles durchdringenden Nässe war einfach nicht Herr zu werden. So kauften wir uns nun doch noch diese unvorteilhaften, grell leuchtenden Regencapes und Überschuhe, die wir noch zusätzlich über unsere in Tüten gewickelten Füße stülpten. Duschhaube noch unters Visor gezogen, dann war uns eh schon alles egal. Mit Attraktivität konnten wir nun mit Sicherheit nicht mehr punkten. Aber Hauptsache trocken! Irgendwann wird doch das Unmöglichste wahr.
Auf diese Weise gekleidet, wollten wir nun wenigstens noch die letzten Stunden des Tages im Freien verbringen und auch mal das alte Pingyao außerhalb der Wohnhöfe kennenlernen. Denn an den Hauptstraßen – insbesondere der Dong Dajie und der Nan Dajie – reihte sich hübsch ein Laden an den anderen, in denen es sowohl Interessantes als auch Witziges zu entdecken gab.
Ich behaupte jetzt einfach mal, dass der zentrale Glockenturm (Shi Lou) das Wahrzeichen von Pingyao ist. Auch wenn er historisch vielleicht nicht die Bedeutsamkeit wie das Finanzmuseum erreicht, kann ich mir kaum vorstellen, dass es etwas gibt, was in dieser Stadt noch öfter fotografiert wird. Zugegeben, es ist aber auch ein wunderschönes, äußerst fotogenes Bauwerk; vor allem am Abend bei Regen, wenn sich die bunten Lichter der Häuserfassaden noch im Wasser spiegeln. Das einzig Bedauerliche war, dass man den Turm inzwischen nicht mehr betreten darf.
Nun neigte sich der Tag doch so langsam seinem Ende zu. Wir liefen noch einige Male das Kopfsteinpflaster auf und ab, bis wir uns endlich entschieden hatten, wo wir für unser Abendmahl einkehren würden. Natürlich nicht dort, wo man am lautesten schrie, sondern dort, wo man mit uns vielleicht am wenigsten gerechnet hätte, dafür relativ authentische Küche geboten wurde. Nachdem uns die Jugend am Nachbartisch lang genug gemustert hatte, waren wir irgendwann doch wieder uninteressant und konnten endlich unbeobachtet essen. Nur die Teller wollten wir nicht ablecken. 😉
Wenigstens zu später Stunde fühlten wir uns in unserem Courtyard doch noch willkommen – dank der leuchtenden Roten Laternen.
12.09.2019 – Pingyao – Stadtmauer & Altstadt-Tempel
Die Stadtmauer
Ich wollte es schon kaum glauben: Heute Früh mal kein Regen? Gut, grau war es trotzdem, aber vielleicht würden wir ja das Glück haben, wenigstens ein paar Stunden im Trocknen zu bleiben. Gerade für die Erkundung der Stadtmauer wäre das gar nicht so schlecht.
Unser Frühstück nahmen wir wieder in dem kleinen Lokal vom Vortag ein; dieses Mal in optimierter Version, dafür in Gesellschaft. Dann ging es über die Nan Dajie noch einmal zum Glockenturm und von dort direkt zum Südtor der Mauer.
Mit ihrem außergewöhnlichen Grundriss ähnelt die 12 Meter hohe Stadtmauer einer Schildkröte. Das Südtor stellt den Kopf, das Nordtor den Schwanz und jeweils die beiden Tore im Osten und Westen die 4 Füße dar.
Schildkröten stehen für die Mutter Erde und somit sinnbildlich für Gesundheit und ein langes Leben, aber auch für Weisheit, Stärke und Stabilität. Nicht umsonst sind sie so oft in den konfuzianistischen Tempeln anzutreffen.
Auch die 3000 Zinnen und 72 Wachtürme verweisen auf den bedeutenden Philosophen und seine 3000 Schüler und 72 Lieblingsschüler.
Am Südtor angekommen, stiegen wir flink die Stufen zur Mauer empor, um endlich einmal auf die Stadt hinabschauen zu können. Auch wenn sich uns der Himmel heute genauso grau wie die Häuser und Dächer des antiken Pingyaos präsentierte, haben wir es trotzdem genossen, den engen Gassen mal ein wenig zu entfliehen und uns ein Bild von oben zu machen.
Zunächst liefen wir ein Stück in Richtung Osttor, um uns auf dem Weg den achteckigen Pavillon des Kuixing Turms anzuschauen. Doch dann kamen wir schon ziemlich bald an eine Absperrung, an der es nicht mehr weiterging. Die komplette Mauer würden wir so heute sicher nicht mehr umrunden können. Es blieb uns letztendlich nur noch, wieder umzudrehen und es einmal in die andere Richtung zu versuchen.
Während zu Beginn unserer kleinen Wanderung noch zwischen den grauen Dächer die grün-gelb glacierten Kacheln der Schmucktore und Tempel aufblitzten, nahm der triste Farbton stetig zu, je weiter wir nach Westen vordrangen. Dafür wurden uns nun aber immer privatere Einblicke in die Gärten und Wohnhäuser der Einheimischen gewehrt. Ich kam mir fast schon wie ein kleiner Voyeur vor, aber ich muss zugeben, dass es interessant war, einmal Vöglein zu spielen und den Leuten beim Zeichnen oder ihrer Gartenarbeit zuzuschauen.
Da an etlichen Stellen das Mauerwerk noch sanierungsbedürftig war, lag der gestampfte Lehm im Inneren frei. So ohne die Verkleidung aus gebrannten Ziegeln kann man sich nur schwer vorstellen, dass dieses primitive Konstrukt all den Belastungen der letzten Jahrhunderte überhaupt bis heute standhalten konnte.
Irgendwann hatten wir dann aber genug gesehen und wollten eigentlich wieder von der Mauer runter. Leider war das erst über das Untere Westtor möglich. Man glaubt gar nicht, wie sich so eine verhältnismäßig kurze Strecke ziehen kann, wenn man nicht weiß, ob dort überhaupt ein Ausgang ist oder man eventuell sogar alles wieder zurückgehen muss. Inzwischen waren außer uns nämlich nur noch 2 Männer in die gleiche Richtung wie wir unterwegs; was uns jedenfalls ein bisschen Hoffnung gab, die Mauer ohne stundenlangen Rückweg wieder verlassen zu können. Als wir sie dann irgendwann innerhalb der Mauer abtauchen sahen, konnten wir wieder etwas aufatmen.
Der Tempel des Stadtgottes – Chenghuang Miao
Dieser taoistische Tempel, besteht um genau zu sein eigentlich aus 3 Gebäuden, in denen jeweils der Stadtgott, der Küchengott und der Mammongott verehrt wird. Gerade letzterer steht mit seinen Geldbarren für die Stadt Pingyao. Laut einer Legende soll dieser nämlich kein Herz besitzen, sondern mit seinen Händen die Fäden des Geldes ziehen.
Das Innere der Hallen dieses ruhigen Komplexes schmücken einige wertvolle Fresken aus dem 18. Jh. Sie zeigen zum Einen die Ankunft des Stadtgottes in einer Sänfte, währenddessen sich ihm die Sünder zu Füßen werfen. Aber es wird auch das Höllengericht dargestellt, laut dem man beim Eintreten in die Hölle vor 10 Richter gestellt wird, und die Seele nach der Urteilsverkündung durch die 10 Höllen geht und schmerzvoll bestraft wird. Keine wirklich schöne Vorstellung.
Konfuzius-Tempel & Neun-Drachen-Mauer
Ohne es zu merken, waren wir bereits über den Hintereingang zum Konfuzius-Tempel hineingeschlüpft. Dabei wollten wir eigentlich nur einen Blick hinter die Neun-Drachen-Mauer werfen und wissen, was das für ein Turm ist, den man hinter dem schönen Schmucktor am westlichen Ende der Altstadt sehen konnte. Einmal im Gelände drin, mussten wir das Ganze nun leider auch andersherum aufrollen.
Wie in den meisten anderen Konfuzius-Tempeln des Reichs der Mitte auch, absolvierten hier einst die angehenden Regierungsbeamten ihre Prüfung. Der bereits im 7. Jh. erbaute Tempel wurde 1163 wieder neu aufgebaut und erhielt so sein heutiges Erscheinungsbild.
Die Dacheng-Halle im Inneren der Anlage ist nicht nur das älteste, noch erhaltene Gebäude Pingyaos, überdies gilt dieser Komplex als der älteste, im Original erhaltene Konfuzius-Tempel der Welt. Dass dieser der Zerstörung entging, lag nicht zuletzt auch daran, dass er zu Zeiten der Kulturrevolution als Stützpunkt für die Roten Garden genutzt wurde.
Inzwischen schon etwas ausgelaugt, mussten wir die komplette Tempelanlage noch ein weiteres Mal durchqueren, wenn wir wieder zum eigentlichen Ausgang zurückkommen wollten. Doch wir konnten es uns ja schlecht entgehen lassen, auf den kleinen Turm zu steigen, wegen dem wir eigentlich das Gelände erst so umständlich betreten hatten. Der Ausblick über die Altstadt war jedenfalls noch einmal ganz schön, und ein kleines Souvenir gab es für mich obendrein; einen hübschen Chinesischen Fächer.
Yamen – das Alte Kreisgericht
Oh, da war ja noch ein Turm. Auf den musste ich natürlich nun auch noch rauf. Doch wie kamen wir bloß wieder dahin? Auf der Suche nach dem Eingang stießen wir schließlich auf die Pforten des Alten Kreisgerichts, von dem seltsamerweise gar nichts in unserem Lonely Planet Führer stand. Dabei nahm diese Anlage doch einen nicht unerheblichen Teil der Altstadt ein. Also statteten wir dem Yamen Gerichtshof nun auch noch unseren Besuch ab.
Der mehr als 26000 m² große Komplex entstand ebenso unter den Nördlichen Wei und wurde 1346 wieder aufgebaut.
Auf einer 200 m langen Nord-Süd-Achse reihen sich hintereinander die einzelnen Gebäude auf. Im vorderen Bereich befanden sich einst die Bürogebäude, dahinter die Wohngemächer der Beamten samt Gartenanlage und kleinen Tempeln, ja sogar eine Opernbühne; und natürlich durfte auch ein Kerker nicht fehlen.
Hier wurde einst von den Mandarinen, die die höchste Beamtenprüfung am Kaiserhof bestanden hatten, Recht gesprochen. Dazu war ihnen auch das Instrument der Folter zugestanden. Als verlängerter Arm der Provinzregierung, legten sie auch die Steuern fest und waren dafür zuständig, diese von den Bürgern der Stadt einzutreiben.
Letzte Stunden in Pingyao
Abseits der frequentierten Gassen vermochten wir auch etwas vom Leben der Einheimischen einzufangen. Eine kleine evangelische Kirche, die wohl schon die besten Jahre hinter sich hatte, zugestellte Hinterhöfe, Menschen, die mit ihren klapprigen Rädern über die holprigen, nicht restaurierten Straßen nach Hause zuckelten oder an den Fassaden neu entstehender Läden werkelten.
So interessant das alles war, packte uns irgendwann doch mal wieder der Hunger, und zudem ging uns auch so langsam das Bargeld aus. So wollten wir uns nun einmal außerhalb der Mauer begeben, um dort zum einen nach was Essbaren und zum anderen einer Bank zu suchen. Beides war ein Abenteuer für sich.
Da 14 Uhr für gewöhnlich nicht gerade die Zeit ist, wo man in China zu Mittag speist, mussten wir uns nun mit ein paar Würstchen am Spieß abfinden. Aber ich sage euch, auch wenn ich normalerweise so etwas nicht mag, die Dinger – in Sesam gebadet, scharf oder auch nicht – waren so etwas von lecker, dass ich mir gleich noch eine geholt habe und die Würste nun hätte täglich essen können. Die Dame am Grill staunte jedenfalls nicht schlecht über meinen Appetit. Gut, dass sie nicht wusste, dass ich vorher schon einen Burger verdrückt hatte.
Ja und die Bank – einmal und nie wieder! Als wir endlich eine gefunden hatten, war das eine Prozedur, die sich schier endlos hinzog; und das, obwohl wir die Einzigen am Schalter waren. Es benötigte eine geschlagene Stunde, bis alles hinterfragt und von Staatsseite abgeklärt war, und wir endlich mit dem geforderten Bargeld das Haus verlassen konnten.
Dafür haben wir wieder etwas dazugelernt: in China kann es keine Arbeitslosen geben, solange man noch Leute mit niederen Diensten beschäftigt, die sich den ganzen Tag mit einem Zweizack bewaffnet in den Raum stellen und nur darauf warten, damit vielleicht irgendwann mal irgendjemanden aus dem Gebäude befördern zu müssen.
Nachdem wir jetzt die Stadtmauer auch von außen gesehen hatten, waren wir dann aber doch wieder ganz froh, uns in den Schutz der Mauern zurückzuziehen und unsere Illusion aufrecht zu erhalten, dass Pingyao ein süßes, kleines Dorf ist. *lach*
Noch ein allerletztes Mal durch die Straßen streifen, noch einen allerletzten Tempel besuchen, noch ein allerletztes Mal in unserem kleinen Restaurant etwas essen; dann haben wir unsere Rucksäcke abgeholt und uns wie fast immer zu Fuß die paar Kilometer zum Bahnhof aufgemacht.
Weiterfahrt nach Xi’an
Die Begegnung der ganz besonderen Art gab es dann am Bahnhof. Wir saßen nichtsahnend auf den harten Plastikstühlen des Warteraums und kümmerten uns wie jeden Abend um ein paar organisatorische Dinge, als plötzlich 2 ältere, lärmende französische Pärchen das Gebäude betraten. Wie ihrem Englisch zu entnehmen war, schienen sie sich wohl nicht ganz sicher zu sein, ob sie überhaupt am richtigen Bahnhof waren. Auch wenn ich jetzt nicht in deren Haut hätte stecken wollen, hoffte ich schon zu diesem Zeitpunkt inständig, dass sie wieder abdackeln. Leider war das Glück nicht gerade auf unserer Seite, und so haben sie sich prompt auch noch neben uns eingereiht, als der Zug einfuhr. Hoffentlich dachte keiner, die würden zu uns gehören; ging es mir nur durch den Kopf.
Wie es der Zufall nun einmal wollte, stiegen sie nun auch noch in den selben Wagon wie wir und wackelten laut artikulierend vor uns her. Als sie schließlich auch noch vor unserem Abteil stoppten und ihre Koffer auf die Liegen schmissen, dachte ich, ich müsste gleich eine Krise kriegen. Jetzt lagen die doch echt in dem gleichen Abteil wie wir, und das auch noch im Hard Sleeper, wo man sich eh kaum drehen und wenden kann. Ganz großes Kino!!!
Als würden sie nicht schon genug auffallen, packten sie dann auch noch gemütlich ihre Sektflaschen aus, hockten sich damit auf die Betten und wollten mich allen Ernstes in ein Gespräch verwickeln. Ich war echt genervt, und vor allem waren sie mir auch peinlich. Jetzt würde sicher auch noch der letzte Chinese denken, dass wir zusammen gehören.
Demonstrativ verkrümelte ich mich in mein Bett und steckte mir die Ohrstöpsel rein. Gott sei Dank ging kurz darauf das Licht aus, und ihnen blieb nicht viel anderes übrig, als irgendwann Ruhe zu geben. “Wehe, wenn sie losgelassen!”
Fazit
Trotz der nicht ganz so optimalen Bedingungen, ist die Altstadt Pingyaos auf jeden Fall ein Reiseziel, das ich guten Gewissens weiterempfehlen kann. Auch wenn es mit Sicherheit machbar wäre, alles in einen Tag hineinzupacken, sollte man sich wirklich die Zeit nehmen, und eine Nacht in einem der Hofhäuser verbringen, die es hier reichlich gibt. So kann man sich noch besser hineinfühlen, wie es zu Zeiten der Ming und Qing in dieser Stadt zugegangen sein könnte.
Was wir leider nicht mehr geschafft haben, war, das 20 km entfernte Anwesen der Familie Qiao zu besuchen. In diesem schönen Wohnhof aus dem 18 Jh., der sage und schreibe 313 Zimmer besitzt, wurde 1991 der Film “Rote Laterne” von Zhang Yimou gedreht. Auch wenn dieser für den europäischen Geschmack vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen mag, spiegelt er ganz gut wieder, wie man sich wohl als Nebenfrau eines hohen Kaufmanns gefühlt haben muss. Na, vielleicht beim nächsten Mal; dann aber bei schönem Wetter. 😉