Ob ich jemals in meinem Leben Lhasa (Tibet) zu Gesicht bekommen werde, das wusste ich vor einem Jahr noch nicht; und weiß es leider noch immer nicht. Doch da entdeckte ich etwas in meinem Reiseführer, was mein Interesse sofort geweckt hat: Chengde – ca. 250 km nordöstlich von Beijing -, wo ein paar tibetisch-buddhistisch stilisierte Tempel stehen, und einer davon sogar gewisse Ähnlichkeiten zu dem berühmten Potela-Palast in Lhasa aufweist. Das wollte ich zu gern mit eigenen Augen sehen, egal, welchen Aufwand das letzten Endes kosten würde.
Jehol
In meinen Büchern über Pu Yi oder Cixi war sehr oft die Rede von Jehol bzw. Rehe, die einstige sommerliche Residenz der Qing-Kaiser, in welche sich diese während der drückenden Sommermonate mit ihrem Hofstaat zurückgezogen haben. Allein die Reise von der Verbotenen Stadt in Beijing aus, hierher, mitsamt all dem Gepäck und Gefolge, nahm 7 ganze Tage in Anspruch. Den Anfang machte im Jahre 1703 Kaiser Kangxi, der auch den Palast erbauen ließ und sich in den bewaldeten Hügeln seiner Jagdleidenschaft frönen konnte.
Jehol, das ist der ehemalige Name für Chengde, welche inzwischen zu einer kleinen Stadt herangewachsen ist. Doch noch immer bildet der Kaiserpalast (Bishu Shanzhuang), inmitten der riesigen Parkanlage und mit seinen ausgedehnten Wäldern, das historische und touristische Zentrum der Stadt.
Um die Mauern der Anlage herum wurden im Norden und Osten die 8 Äußeren Tempel errichtet, von denen derzeit 5 besichtigt werden können. Allerdings dienten diese buddhistischen Klöster damals nicht als heilige Stätten, sondern wurden allein zu demonstrativen Zwecken erbaut, um wichtige Staatsgäste – wie u.a. die lamatreuen Mongolen – zu beeindrucken und sie somit als Verbündete zu halten.
Die meisten dieser Tempel entstanden in der Blütezeit des 18. Jh. unter Kangxis Enkel Qianlong. Nach 60 Jahren Herrscherzeit trat dieser jedoch zurück, da er seinen bescheidenen und gewissenhaften Großvater dermaßen verehrte, dass er ihm auf keinen Fall den Rang des am längsten amtierenden Kaisers von China ablaufen wollte.
Erst als im Jahre 1861 an diesem Ort Kaiser Xianfeng (Cixis Gemahl) starb, gab man die Sommerresidenz auf und somit dem Verfall Preis.
07.09.2019 – Chengde & die Äußeren Tempel
Anreise
Dieser Tag begann schon wesentlich entspannter, wenn auch wieder einmal sehr früh. Wie bereits im letzten Blogeintrag erwähnt, hatten wir unsere Fahrgelegenheit nach Chengde ja schon im Vorfeld organisiert, und so stand der Besitzer unserer Unterkunft auch schon zur Abfahrt bereit. Mit seinem klimatisierten, komfortablen Wagen war das natürlich gleich etwas ganz Anderes, sich die 130 km weiter in den Norden chauffieren zu lassen. In einen solchen Genuss kamen wir während unserer Chinareise kein zweites Mal.
Noch einmal konnte wir auf die Mauerabschnitte von Gubeikou, Jinshanling und Simatai schauen, auf denen wir am Vortag entlang gewandert sind. Fast schon ein wenig wehmütig verließen wir nun diese wunderschöne Gegend und passierten schon bald wieder die Provinzgrenze nach Hebei.
Hebei zählt zu den am dichtesten besiedelten Provinzen Chinas und bedeutet so viel wie nördlich (bei) des Flusses (he). Dabei bezieht man sich auf den Gelben Fluss (Huang He) – die Lebensader des Landes -, der die 2 Provinzen Hebei und Hunan (südlich des Flusses) voneinander trennt.
Die mauerbespickten Berge wichen bald schon grünen Hügeln und schließlich weniger ansehnlichen Wolkenkratzern. Nach ca. 2 Stunden waren wir nun in Chengde angekommen.
Das >>Hotel<< war relativ schnell gefunden, doch unser netter Gastgeber verschwand auch jetzt noch nicht von unserer Seite. Sollten wir für gewöhnlich alles dafür tun, um unsere Privatsphäre zu schützen, konnten wir in dieser Situation allerdings ganz froh sein, dass er so hartnäckig geblieben ist. Denn das Hotelpersonal schien mit uns Ausländern vollkommen überfordert zu sein. Ohne großes Aufheben hat er alles gemanagt und es sich auch nicht nehmen lassen, uns anschließend noch aufs Zimmer zu bringen. Erst als er wohl sicher war, dass nun wirklich nichts mehr schief gehen kann, verabschiedete er sich von uns.
Diese und noch weitere solcher Gesten haben uns gezeigt, um wieviel hilfsbereiter die Chinesen gegenüber uns Deutschen sind. Trotzdem waren wir erleichtert, als wir dann endlich wieder für uns waren und zumindest mal 5 Minuten lang die Beine hochlegen konnten, bevor 2 ereignisreiche Tage in Chengde folgen sollten.
Puning Si
Da wir sehr viel in den ersten Tag hineinpacken wollten und auch nicht wussten, wie die Busse verkehren, winkten wir spontan an der Hauptstraße vor dem Hotel eines der hier unglaublich günstigen Taxis heran. Mit Händen, dem Reiseführer und meiner schlechten chinesischen Aussprache versuchten wir nun dem Fahrer zu verklickern, wo wir als erstes hinwollten. Flo hatte ich instruiert, gar nicht erst lange zu fackeln und gleich auf den Beifahrersitz zu springen, bevor ich mit meinen Erklärungen anfangen würde. Denn sonst könnte es – wie irgendwo mal gelesen – einem tatsächlich passieren, dass das Taxi einem glatt wieder vor der Nase wegfährt, weil es nicht alle Chinesen so kompliziert lieben.
Ebenso hat es sich als geschickt herausgestellt, das eigene Handy zum Navigieren anzuschalten und so zu positionieren, dass es auch der Fahrer sehen kann; zum einen, damit man nicht doch noch hinters Licht geführt wird, zum anderen, weil manche tatsächlich den Weg nicht kennen.
Als schließlich das Taxi zum Stehen kam, war ich mir erst gar nicht so sicher, ob wir hier wirklich richtig sind. Auf den ersten Blick sah die Anlage so ganz anders aus als auf den Bildern. Doch dann kam mir wieder in den Sinn, dass der Puning Si 2 Architekturstile in sich vereinen soll. Während sich der vordere Bereich an die Tempel der Han-Chinesen lehnt und die Hallen symmetrisch entlang einer Nord-Süd-Achse angeordnet sind, ist der hintere Bereich im Stile der tibetischen Tempel gehalten.
Nach seinem Sieg über die Mongolen ließ Kaiser Qianlong im Jahre 1755 Chengdes einziges aktives buddhistisches Kloster erbauen.
Voller positiver Aufregung ging es nun hinein in den Puning Si, auf den ich mich ehrlich gesagt fast am meisten gefreut hatte.
Wie bei einem chinesischen Tempel so üblich, trafen wir in vorderster Reihe auf den Stelenpavillon, von dem es durch einen lieblichen Garten zu den weiteren Hallen des vorderen Komplexes ging. Hier wurde auch um diese Zeit schon ordentlich geräuchert.
Doch vielmehr faszinierten mich die unzähligen Gebetsmühlen, welche die Einheimischen nacheinander in Bewegung setzten, während sie die Mahavira Halle im Uhrzeigersinn umrundet haben. Auch ein paar Mönche huschten schnell über den Hof zu ihren Unterkünften. Da waren die chinesischen Touristen schon wesentlich aufgeschlossener; und nachdem sie uns und wir sie ein bisschen heimlich fotografiert hatten, konnte man sich doch noch darauf einigen, zusammen vor die Linse zu treten. 😉
Dann ging es aber endlich die steilen Treppen hinauf und über das Torhaus zum tibetischen Teil der Anlage. Über mehrere Terrassen verteilten sich jede Menge rot-weißer Stupas und quadratischer Ziegelbauten mit kleinen Fenstern um die 37 Meter hohe Mayahana Halle, welche Buddhas Palast auf dem mythischen Berg Sumeru symbolisiert. Im Inneren der Halle durften wir eine 22 Meter große, vergoldete Statue der Guanyin bewundern.
Die Göttin des Mitgefühls wurde aus fünf verschiedenen Holzarten geschnitzt, besitzt 42 Arme mit je einem Auge in der Handfläche und hält in jeder Hand einen anderen symbolischen Gegenstand. Sie ist die größte ihrer Art, weltweit.
Selbst wenn man diese unglaubliche Statue fotografieren dürfte, würde man diese innerhalb des Gebäudes gar nicht auf ein Bild bekommen. So bleibt mir nur, euch die Skizze aus meinem Reiseführer zu präsentieren, damit ihr euch annähernd vorstellen könnt, von was ich hier überhaupt erzähle.
Wir waren jedenfalls sehr angetan. Ich wusste schon jetzt, dass es sicher kein Fehler war, den Umweg über Chengde in Kauf genommen zu haben.
Putuo Zongcheng Zhi Miao
Ohne Pause zu machen, haben wir uns gleich wieder ein Taxi gesucht und sind nun zu Chengdes größten und beeindruckendsten Tempel durchgestartet; oder wie es der Lonely Planet Guide ganz gut betitelt “…eine ziemlich große Miniaturausgabe des Potala-Palastes in Lhasa.”
Aber waren wir nicht genau deswegen hier hergekommen, um einen Hauch Tibet einzuatmen?
Da der Putuo Zongcheng Zhi Miao, wie auch die anderen 7 Tempel, den topographischen Gegebenheiten angepasst wurde, hieß es auch jetzt wieder, sich langsam den Hügel hinaufzuarbeiten. Im Eingangsbereich war noch nichts von den Ausmaßen des riesigen Palastes zu erahnen. Durch viel Grün und hübsche Torbögen schlängelten wir uns gemächlich durch die Anlage, bis plötzlich vor uns die Rote Terrasse wie aus dem Nichts auftauchte. Eindeutig, die Ähnlichkeit zum Potala-Palast war nicht von der Hand zu weisen. Man fühlte sich regelrecht von der Größe erschlagen, als man vor dem zinnoberroten Mauerwerk stand.
Je näher man herantrat, umso deutlicher konnte man allerdings auch erkennen, dass viele der Fenster nur aufgemalt waren. Denn hinter der tibetischen Fassade versteckt sich in Wirklichkeit ein Chinesischer Tempel. Doch bevor wir hinter die Kulissen schauen wollten, musste ich zumindest noch schnell eine tibetische Gebetsfahne erwerben, meinen Namen darauf schreiben und diese dann (dem Brauch entsprechend) mit all den anderen Fahnen am dafür vorgesehenen Mast nach oben ziehen. Durch das Wehen im Wind sollen die Gebete dann zum Himmel hinausgetragen werden.
Um jetzt nicht zu ausschweifend zu werden: die 5 unterschiedlichen Farben der Gebetsfahnen stehen für die 5 Elemente, z.B. Rot für Feuer und Blau für Leere (Raum & Himmel) – letztere hat einen Platz in unserem Zuhause gefunden.
Das Innere des Roten Palastes war nicht minder beeindruckend und zudem noch viel authentischer. Man hätte sich in den zahlreichen Gängen des Chinesischen Tempels schier verlaufen können.
Die oberste Terrasse mit den geschwungenen, verzierten Dächern der rot-leuchtenden Pavillons bildete einen würdigen Abschluss unserer Besichtigung des Putuo Zongcheng. Von hier oben hatte man auch eine grandiose Aussicht über Chengde, durch die grüne, hügelige Landschaft mit all den anderen Tempel, bis hin zur Mauer der kaiserlichen Sommerresidenz, von der wir am folgenden Tag genau auf diesen Tempel hinab blicken wollten.
Inzwischen war das Knurren unserer Mägen kaum noch zu ignorieren. Doch seltsamerweise fanden wir in der Nähe chinesischer Sehenswürdigkeiten fast nie Essensstände, so wie man es vielleicht aus anderen Ländern kennt. Ich habe keine Ahnung, wie das die einheimischen Touristen praktizieren; vermutlich planen diese irgendwo einen Restaurantbesuch während ihrer organisierten Bustour ein. Wir hingegen – wie immer auf nüchternen Magen gestartet – waren echt froh, als wir zumindest irgendwo noch ein Würstchen und etwas Süßkram auftreiben konnten, mit dem wir uns die nächsten Stunden über Wasser hielten.
Xumi Fushou Zhi Miao
Nicht weit entfernt steht der Xumi Fushou Zhi Miao, den man zu Ehren des Sechsten Panchen Lama erbaute, welcher 1781 – anlässlich Qianlongs Geburtstag – Chengde einen Besuch abgestattet hat. Dieser Tempel weißt ganz ähnliche Architekturmerkmale wie sein soeben beschriebener Nachbar auf und soll an das Heimatkloster des Panchen Lamas in Shigatse in Tibet erinnern.
Da wir besser in der Zeit lagen als gedacht, und der Besuch dieses Klosters mit im Eintrittspreis des Putuo Zongcheng Zhi Miao enthalten war, sprangen wir in das kleine Vehikel, das am Straßenrand für genau diesen Zweck bereit stand. Auf diese Weise konnten wir uns wenigstens ein paar Meter über den harten Asphalt in der glühenden Sonne ersparen; und für die Chinesen waren wir zudem eine willkommene Abwechslung.
Auch hier kamen wir wieder über den Stelenpavillon zu einem bezaubernden rot-grün-gelb gekachelten Tor, welches uns den Blick zur Großen Roten Terrasse mit dem Miaogao Zhuangyan eröffnete.
Wenn die Anlage auch um einiges kleiner als die des Putuo Zongcheng Zhi Miao ist, schwingt hier einiges mehr an Authentizität mit. Zwar mutet der Tempel von vorn genauso tibetisch an, aber immerhin sind die Fenster des Palastes echt. Wäre dieses Kloster nicht noch inmitten der Restaurierungsarbeiten, hätten wir uns hier vermutlich noch wohler gefühlt. Jedenfalls ging es an diesem Ort wesentlich ruhiger zu.
Was ich allerdings bedauere, ist, dass wir es aufgrund der Bauarbeiten ganz versäumt haben, auch noch einen Blick hinter die letzte Halle zu werfen. So entging es uns tatsächlich, die siebengeschossige Liuli Wanshou Pagode anzuschauen.
Pule Si
Auf den letzten Tempel für heute war ich noch einmal richtig gespannt, denn mit dem Runden Pavillon, welcher der Halle des Erntegebets in Beijings Himmelstempelpark nachempfunden wurde, erwarteten wir nun ein weiteres Highlight.
Die Fahrt dorthin genehmigten wir uns ein weiteres Taxi und waren etwas überrascht, als uns die Dame eine Straße bergauf fuhr. Doch das hatte durchaus seine Richtigkeit, denn die Anlage des Pule Si liegt auf einem kleinen Hügel.
Dachten wir, dass es im vorhergehenden Tempel schon ruhig zugehen würden, waren wir hier jetzt die einzigen Besucher. Vielleicht lag es ja auch an der Mittagshitze, jedenfalls kosten wir diesen seltenen Moment der Stille aus und schauten uns in Ruhe um. Dabei entdeckten wir zwischen den alten Nadelbäumen jede Menge rote und gelbe Bänder, von denen wir annahmen, dass diese eine ganz ähnliche Bedeutung haben wie die tibetischen Gebetsfahnen.
Die Attraktion dieses Komplexes war eindeutig der Runde Pavillon, der auf einer dreistufigen Terrasse errichtet wurde. Mit seinem runden, in der Sonne gelbgold-funkelndem Doppeldach ist er wirklich ein beeindruckendes Bauwerk. Im Inneren des Tempels befindet sich an der Decke ein riesiges, hölzernes Mandala, was das einzige der Art außerhalb Tibets ist. Während wir nun weiter um die bunten, gekachelten Stupas schlichen, bot sich uns von hier oben noch einmal ein wunderschöner Ausblick zu den benachbarten Klöstern. So nahmen wir uns einfach die Zeit, um ein wenig zu rasten und den Ort auf uns wirken zu lassen; und um zu überlegen, wie wir wohl am besten zu dem bizarren Felsen kommen würden, von dem wir unseren Blick schwer abwenden konnten.
Qing Chui Feng mit dem “Keulenfelsen”
Was hatten wir uns da nur vorgenommen? Mit Flip Flops stand ich am Pule Si und überlegte ernsthaft, wie wir am besten zu Fuß den Berg mit dem Keulenfelsen erklimmen könnten. Vom Tal aus war es leicht möglich, mit der Gondel nach oben zu fahren. Doch erstens wollten wir nicht wieder zur Talstation komplett hinuntergehen, zweitens hatten wir dafür nicht das begehrte Kombiticket, da uns die Taxifahrerin ja direkt am Tempel abgesetzt hatte, und drittens wollten wir – insbesondere ich – wie immer alles auf eigene Faust erkunden.
Die Damen am Eingang des Tempels konnten uns auch nicht wirklich weiterhelfen, als wir wissen wollten, ob man denn auch den Trampelpfad direkt hinterm Kloster nach oben nehmen kann; eine davon verwies sogar mit ernstem Gesicht strikt auf den Weg nach unten, wohingegen die zweite zumindest sehr freundlich war und versucht hat, uns zu verstehen. Als wir uns schließlich eine Minute lang unbeobachtet fühlten, sind wir schnell um den Puning Si gehuscht und wollten es einfach riskieren und den gesichteten Pfad einschlagen.
Die Anstrengung, bei dieser sengenden Hitze in Flip Flops den steilen, sandigen Weg hinaufzuwandern, sollte man jedenfalls nicht unterschätzen; zudem dieser noch im weiten Bogen ausholte, bevor man endgültig zum angestrebte Ziel kam. Aber die Mühen hatten sich schließlich doch noch gelohnt, als wir endlich diese sonderbare Steinformation – zum Greifen nah – erblickten. Als wir dann auch noch Leute auf der Plattform erkennen konnten, waren wir vollends motiviert.
Auf dem Weg zum Keulenfelsen kamen wir an weiteren seltsamen Formationen vorbei, deren Namen ich mir allerdings nicht alle gemerkt habe. Dann war es aber endlich soweit. Verschwitzt stiegen wir nun die letzten steilen Stufen empor, um letzten Endes festzustellen, dass die Plattform geschlossen war. So ganz verstehen konnten wir das allerdings nicht, da wir kurz zuvor ja noch Menschen darauf gesehen hatten. Vielleicht lag es daran, dass ein leichtes Lüftchen aufkam. Wir haben fragend in die Runde geschaut, aber danach waren wir keineswegs schlauer.
Etwas enttäuscht zogen wir schließlich wieder ab und suchten verzweifelt nach einem Weg, über den man zurück ins Tal kam. Doch wenn man sich nicht in den Sessellift setzten wollte, wurde es einem da gar nicht so leicht gemacht.
Der Beschreibung nach hatten wir eigentlich mit einem gut ausgebauten Weg, gesäumt von vielen kleinen Tempeln, gerechnet. Doch was wir in Wirklichkeit vorfanden, war ein schmaler, liebloser Trampelpfad, dessen Einstieg man erst einmal suchen mussten. Aller Unwägbarkeiten zum Trotz ließen wir uns die Laune nicht verderben, so hatten wir jetzt wenigstens die Gelegenheit, das Gesehene Revue passieren zu lassen und den Kopf wieder ein wenig freizubekommen. Für heute war es tatsächlich erst einmal genug. Wir hatten unser Programm geschafft und so viel Schönes gesehen und erlebt; das brauchte nun etwas Zeit zum Verarbeiten.
Chengde und die leckersten Teigtaschen Chinas im Da Qing Hua
Nun war es aber echt überfällig, endlich unseren barbarischen Hunger zu stillen. In der Stadt, nahe dem Eingang zur kaiserlichen Sommerresidenz, sollte es ein kleines Restaurant geben, welches angeblich die besten Teigtaschen Chengdes zubereiten würde. Mit dem Reiseführer bewaffnet, verglichen wir an den Häusern die einzelnen chinesischen Schriftzeichen, bis wir der Meinung waren, richtig zu sein.
An der Tür des Lokals wurden wir gleich willkommen geheißen und traten in einen großen, vollkommen in Holz gehaltenen Raum, in dem es um diese Uhrzeit zum Glück recht beschaulich zuging. Die hilfsbereiten Kellnerinnen wuselten nur so um uns herum und versuchten uns beim Entziffern der Speisekarte so gut wie möglich zu unterstützen. Leider waren gerade bei den von uns favorisierten Teigtaschen keinerlei Abbildungen dabei, die uns verrieten, mit was sie denn gefüllt sein würden; wirklich gemein, wenn man so ausgehungert ist, und dann per Handy und Übersetzungs-App versucht, diese Hieroglyphen zu entschlüsseln. Doch was letzten Endes auf unseren Tisch kam, war noch viel besser als erwartet: gedämpfte, grüne Teigtaschen mit einer sehr leckeren Pilzfüllung und gebratene Teigtaschen mit einer Hackfüllung.
Nie wieder haben wir so gut gegessen in den folgenden 2 Wochen. Wir waren auf ewig geschmacklich auf höchstem Niveau versaut.
Den Weg zu unserem Hotel wollten wir unbedingt wieder zu Fuß gehen, um zum einen etwas von der Stadt selbst zu sehen und zum anderen, besser abschätzen zu können, wie lange wir am nächsten Tag von unserer Unterkunft zum Palast benötigen würden. Außerdem hatte ich mir in den Kopf gesetzt, ein paar frische Sachen zu besorgen, damit wir wenigstens mal ein paar Vitamine abbekommen. Aber denkt bloß nicht, dass das, was wie grüne Paprika aussieht, hier auch so schmeckt. Trotzdem habe ich brav die 2 scharfen Schoten verdrückt; man gönnt sich ja sonst nichts. Danach fielen wir nur noch erschöpft in unser Bett.
08.09.2019 – Chengde & die kaiserliche Sommerresidenz
Nichts war für uns in China seltener, als ein reguläres Frühstück einzunehmen. Heute wollten wir es uns aber einmal gönnen, damit wir den Tag gestärkt starten konnten. In dem nüchternen Frühstücksraum unseres Hotels stand ein Buffet bereit, welches zwar reichlich und vielseitig war, aber nach unserem Geschmack etwas an Würze mangeln ließ. Trotzdem probierte ich so viel wie möglich aus, um danach zu wissen, was man sich in Zukunft sparen kann. Flo beschränkte sich dabei auf eine etwas kleinere Auswahl. Was Mann nicht kennt, isst er auch nicht; na meistens zumindest. 😉
Bishu Shanzhuang
Nachdem wir unser Gepäck an der Rezeption geparkt hatten, machten wir uns zum Bishu Shanzhuang auf und erreichten nach einer halben Stunde strammen Fußmarsch das Lisheng Tor – der einzige Eingang zur einstigen Sommerresidenz. Dank der frühen Stunde war noch nicht viel los, und so hatten wir schon kurz darauf die Eintrittskarten in der Hand und konnten mit der Besichtigung anfangen.
Die Anlage mitsamt ihrer Gärten, Seen und Jagdrevieren umfasst 560 ha und ist damit Chinas größter kaiserlicher Palastkomplex; wobei die herrschaftlichen Gebäude nur einen Bruchteil ausmachen und sich auf den südlichen Teil des Parks konzentrieren.
Der in dezentem Farbton gehaltene Hauptpalast aus dem sehr harten Holz des Nanmu-Baumes, umfasst 9 Höfe und 5 Hallen, die auch heute noch möbliert sind und u.a. einen mit gelber Seide verkleideten Thron ausstellen. Hier befanden sich einst das Arbeitszimmer, das Schlafgemach und die Wohnräume des Kaisers, sowie in den Nebengebäuden die Quartiere von Kaiserwitwe Cixi (im Osten) und den Konkubinen (im Westen). Auch trifft man auf eine große Zeichnung von Kaiser Kangxi, der 1703 als erstes hierher floh und diese Anlage ins Leben rief. Ganz treffend kreierte er dafür den Namen “Bergschloss, in dem man der Sommerhitze entflieht” – Bishu Shanzhuang.
Doch Bishu Shanzhuang ist noch weit mehr als der Kaiserpalast. Mit seinen 3 Landschaftsformen steht er stellvertretend für die unterschiedlichen Naturbeschaffenheiten Chinas; die Seen für die Regionen südlich des Flusses Yangzi, die Steppen für die Mongolei und die Hügel, die vor den eisigen Winden des Nordwestens schützen sollen.
Jedenfalls freuten wir uns jetzt darauf, all das zu erkunden. Dafür galt es allerdings erst einmal, sich in diesem Labyrinth zurechtfinden. Gut, dass wir am Eingang einen Übersichtsplan gekauft hatten, sonst hätten wir uns womöglich gnadenlos verirrt.
Dieser Komplex ist so groß und beinhaltet so viele wunderschöne, schmucke Pavillons, kleine Tempel, Pagoden und andere interessante Gebäude, dass ich diese unmöglich alle beschreiben kann. Wir haben es ja nicht einmal geschafft, alle anzuschauen. Das meiste verstreut sich rund um den großen See im Süden, aber auch an allen anderen Stellen im Park gab es stets etwas zu entdecken. Und während es an vielen Stellen recht betriebsam zuging, fanden sich immer wieder stille Orte zur Kontemplation oder aber um Tai Chi und andere Sportarten zu praktizieren.
Besonders gut gefielen uns die Shui Xin Pavillons, welche eine der vielen Brücken verzieren, über die man von der einen kleinen Insel auf die nächsten spazieren kann. Aber auch die dreistöckige Pagode an der Jing Shui Yuncen Halle fügte sich sehr hübsch in die Seenlandschaft ein. Auf dem Weg dorthin haben wir extra den schmalen Pfad direkt am Ostufer entlang gewählt, der uns über kleine Steingärten führte und mit all den Lotusblüten und bunten Booten auf dem See ganz besonders idyllisch war.
Im nordöstlichen Teil der Anlage steht die 250 Jahre alte Yong Yousi Ta, die auf den Ruinen eines verschwunden Tempels errichtet wurde. Noch von weit außerhalb der Mauern ist diese 10-geschossige Pagode sichtbar.
Jetzt wollte ich aber nicht mehr länger wartet, es drängte mich regelrecht den Berg hinauf zu dem Aussichtspunkt ganz im Norden des Parks. Das war eigentlich auch der Hauptgrund unseres Besuchs, einmal auf die Tempel vom Vortag – insbesondere den Putuo Zongcheng – hinabzuschauen; und das möglichst noch solange das Wetter so schön war, und wir die Sonne auch im Rücken hatten.
Der Aufstieg war abermals eine schweißtreibende Angelegenheit, und es machte das Ganze auch nicht besser, dabei ständig von mit Touristen vollgestopften Bussen überholt zu werden. So flüchteten wir so oft es ging auf die kleinen Nebenpfade im Wald, von wo aus sich bereits immer wieder tolle Aussichten auf die östlichen Tempel und den Keulenfelsen eröffneten.
Endlich kam der lang ersehnte Moment, mein Moment, und der Rote Palast des Putuo Zongcheng blitzte über der Mauer empor. Jetzt ließ ich mich nur noch schwer stoppen und rannte förmlich zu dem Aussichtspunkt. Dieser Tempel ist wahrlich etwas ganz Besonderes. Die gesamten Ausmaße kann man wirklich nur von hier oben erfassen. Ich war begeistert und überglücklich, dass auch heute noch einmal das Wetter so mitgespielt hat. Da konnten mich selbst die vielen Asiaten nicht beeindrucken, die kurz ihren Bus verließen, um schnell ein Foto zu ergattern. Nur ein paar Meter weiter der Mauer entlang, dann war man eh schon wieder fast allein, und konnte zudem noch einen wunderbaren Blick auf den Xumi Fushou Zhi Miao, ja sogar auch noch auf den Puning Si, erhaschen. Yes, das hatte sich aber so was von gelohnt.
Kurzentschlossen stiegen wir für den Weg hinab doch in einen der bereitstehenden Minibusse, denn so langsam saß uns die Zeit etwas im Nacken. Schließlich mussten wir heute noch nach Beijing zurück, um von dort aus den Nachtzug nach Datong pünktlich zu erwischen. Trotzdem wollten wir uns nach diesen 2 nahezu perfekten Tagen nicht stressen lassen, und auf dem Rückweg Richtung Lisheng Tor wenigstens noch die verbliebenen Fleckchen am Westufer des Sees abklappern. Doch so richtig die Ruhe hatten wir logischerweise nicht mehr.
Weiterreise
Noch einmal kehrten wir im Da Qing Hua mit den leckeren Teigtaschen ein, dann ließen wir uns auch schon von einem Taxi zum Hotel bringen, um dort schnell unsere Rucksäcke aufzuklauben, und gleich weiter zum 8 km südlich gelegenen Busbahnhof Ost.
Wir waren etwas aufgeregt, ob alles so klappen würde, wie wir uns erhofften. Doch mit der entsprechenden Standhaftigkeit, nicht jeden durchzulassen, der vorgab, es eilig zu haben, saßen wir tatsächlich irgendwann in dem Bus, der uns zurück nach Beijing bringen sollte.
Ich kann nur von Glück sprechen, vorher nicht allzu viel getrunken zu haben, denn 4 Stunden ohne Rast können echt lang werden; vor allem, wenn man zur Rush Hour in die Stadt hineinfahren muss.
Als der Bus endlich im Norden Beijings einfuhr, waren wir fast schon erleichtert. Gleich würden wir es geschafft haben. Doch plötzlich steuerte er in einem großen Bogen auf den Westen der City zu, anstatt uns zum Fernbusbahnhof Sihui im Osten zu bringen, welcher ganz in der Nähe des Bahnhofs lag, von dem aus wir unseren Zug für die Weiterfahrt nehmen mussten. Ziemlich nervös rutschen wir nun auf unseren Sitzen umher, und hofften inständig, dass wir bald anhalten würden. Unsere Stoßgebete wurden Gott sei Dank erhört. – Wenn man das Fahrplanlesens mächtig wäre, hätte man aber auch sehen können, dass von Chengde aus zwei Linien nach Beijing verkehren; wobei die eine im Westen (Liuliqiao), die anderen in Osten (Sihui) hält. Doch wie schon gesagt, ist das mit dem Busfahren in China so ein spezielles Thema. –
Zum Glück hatten wir aber noch ein kleines Zeitpolster, unsere Smart Cards für die Metro und waren zudem wesentlich entspannter als noch ein paar Tage zuvor. So legten wir nun sogar noch einen kleinen Zwischenstopp in der Wangfujing Dajie ein. Von dieser belebten Fußgängerzone sollte eigentlich eine Snackmeile abgehen, die laut Reiseführer jede Menge ausgefallener Gerichte feilbieten würde. Wir haben gesucht und gesucht, sind alles auf- und abgelaufen, bis wir letzten Endes feststellen mussten, dass es die besagte Meile nicht mehr gibt.
So haben wir uns resigniert mit einem kühlen Wasser auf einer Bank niedergelassen und wollten die letzten, uns verbleibenden Minuten noch ein wenig dem Treiben auf der Fuzo zuschauen; als uns plötzlich ein älterer Chinese Gesellschaft leistete und in relativ gutem Englisch so einiges über sein Leben, die aktuelle Situation in China und die schlechte Luft in Beijing schilderte. Bei diesem interessanten Gespräch und dem anschließenden Versuch, ein Grüntee-Eis zu erwerben, übersahen wir etwas die Zeit und mussten dann fast schon rennen, um die U-Bahn und später unseren Zug zu bekommen; na zumindest, wenn man eine Stunde vorher am Bahnhof sein will. Denn ihr erinnert euch vielleicht daran, dass ich erwähnt hatte, dass hierzulande die Prozedur am Bahnhof mit der an unseren Flughäfen vergleichbar ist.
Mehr über unsere erste Zugfahrt erfahrt ihr in dem folgenden Blogbeitrag…